Comandante Stepan Bandera

Bandera-Statue in Lviv, September 2019

»Selbstverständlich befinden wir uns weiter auf der Suche nach Nationalhelden«, zitierte am 13. Februar 2020 die Jüdische Allgemeine Anton Drobowytsch (Leiter der Gedenkstätte Babyn Jar) vor dem verantwortlichen humanitären Ausschuss des ukrainischen Parlaments, »Aber wir werden eben Akzente auf die Persönlichkeiten setzen, die das Volk einen können.«

Ob Demokratien Helden brauchen, versuchte jüngst Dieter Thomä in seinem gleichnamigen Buch herauszufinden; Fakt ist, dass es sie in der Ukraine gibt und sie allgegenwertig sind. Ein Held, der, anders als von Drobowytsch gewünscht, das Land eher spaltet als vereint, ist Stepan Bandera. Der ukrainische Partisanenführer und Nationalist, der während des Zweiten Weltkriegs die OUN-B(andera) und UPA (Vereinigung Ukrainischer Nationalisten und Ukrainische Aufständische Armee) befehligte, gilt besonders im Westen des Landes als Held, der für eine unabhängige Ukraine gegen die Wehrmacht und die Rote Armee gekämpft hat. Anderswo, gerade im Ausland, gilt er als NS-Kollaborateur und Faschist. Belegt ist, OUN-B Partisanen kämpften freiwillig in den Bataillonen Nachtigall und Roland an der Seite der Wehrmacht, in der Hoffnung, nach Kriegsende den erwünschten unabhängigen Staat von NS-Deutschland zu erhalten. Viele hohe OUN-Kader waren geprägt von den proto-faschistischen Lehren Dmytro Doncovs und sahen den angeblichen „Judeo-Bolschewismus“ als größtes Feindbild einer unabhängigen Ukraine.

Gerade in Lviv, „Kulturhauptstadt“ der Westukraine, ist der Bandera-Kult am größten. Das letzte Jahr (2019) wurde offiziell zum Bandera-Jahr ausgerufen, da sich sein Geburtstag zum 110. Mal jährte. Ebenso gibt es seit 2001 eine überlebensgroße Bandera-Statue mitten in der Stadt.

In der post-Majdan Ukraine erfährt Bandera ein beeindruckendes Revival, als Symbolbild des anti-russischen Widerstands und Protests. Während man auf den Majdan-Demonstrationen nur vereinzelt schwarz-rote OUN/UPA-Flaggen und Konterfeis von Bandera sah, nahmen diese und weitere Devotionalien, nach der Krim-Annexion und des Krieges im Donbass, scheinbar exponentiell zu. Straßenhändler und kleine Geschäfte verkaufen auch heute schwarz-rote Armbänder oder Mützen, T-Shirts mit Porträts von Bandera oder anderen OUN/UPA-Größen sowie Abzeichen der Organisation und Flaggen. Diese Symboliken werden schrittweise normalisiert und auch um andere Bedeutungen erweitert: So finden sich ebenfalls vereinzelte Darstellungen von Serhij Nigojan, dem ersten Toten auf dem Majdan und Symbol für die Revolution, auf schwarz-rotem Hintergrund. Das nationalistische Lviver Restaurant Kryijvka ist einem UPA-Partisanenversteck nachempfunden und romantisiert sowie kommerzialisiert den Widerstand gegen die Rote Armee recht erfolgreich. Neben zahllosen OUN/UPA-Devotionalien im Fan-Shop verkauft das Restaurant auch einen „Gauleiter-Cocktail“, der nicht nur namentlich geschmacklos ist. Die Kollaboration mit der Wehrmacht wird, wenn überhaupt, humoristisch oder verharmlosend thematisiert, faschistische Ideologie und Gewalt normalisiert und verharmlost.

UPA-Merchandise im Restaurant Kryijvka,
September 2019

Carlos Puebla schuf 1965 mit seinem Lied Hasta Siempre, Comandante eine Hymne für Che Guevara. Alberto Korda verewigte den Guerrillero Heroico bereits 1960 in seinem weltbekannten Porträt. Mittlerweile ist Guevara eine bedeutungsleere Hülle für Protest, Revolution oder Wohnzimmerwände geworden, sein Gesicht ziert T-Shirts, Tassen und Aschenbecher. Die kritischen, umstrittenen Aspekte seines Wirkens werden ausgeblendet und sind weitläufig vergessen. Dies passiert auch mit Bandera in der Ukraine, er wird zum Partisano Heroico erhoben, seine Ideologie (abgesehen von dem Wunsch einer unabhängigen Ukraine) ausgeblendet und romantisiert. Das einzige was Bandera noch fehlt, ist eine Hymne der Qualität von Carlos Puebla. 

Sebastian Döpp

Sebastian Döpp studiert seit 2015 Geschichte, Anglistik/Amerikanistik und Public History an der Ruhr Universität. Seit April 2018 arbeitet er als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte (Prof. Stefan Plaggenborg). Sebastian Döpp beschäftigt sich hauptsächlich mit Erinnerungskulturen in Osteuropa sowie mit Geschichtskultur, Geschichtspolitik und Gewaltgeschichte. Im Rahmen seiner Tätigkeit am Lehrstuhl nahm er an mehreren Projekten und Studienfahrten in Polen, Rumänien, der Republik Moldau und der Ukraine teil. Zuletzt betreute er mit Dr. Olena Petrenko ein Forschungsprojekt zu den Erfahrungen von Displaced Persons in der Ostukraine. Ehrenamtlich engagiert er sich neben dem Fachschaftsrat Geschichte auch in der Initiative Nordbahnhof e.V. und bei Gegen Vergessen - für Demokratie e.V.

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