Das umkämpfte Museum in Gdańsk: Geschichtsvermittlung als nationalistisches oder europäisches Konstrukt?

„They [das Ministerium] thought they could do a blitzkrieg, but now we have the Battle of Stalingrad”. Mit dieser Kriegsmetaphorik kommentierte Paweł Machcewicz im Jahre 2016 eine der wichtigsten historischen Kontroversen der letzten Jahre in Polen: Die Debatte um das Danziger Muzeum II Wojny Światowej (Museum des Zweiten Weltkrieges). Eine in der, wie zu zeigen sein wird, nationalistisch-polnische auf europäische Vorstellungen von Erinnerungskultur prallen. Eine Debatte, die uns fragen lässt, wie heute eigentlich im demokratisch geprägten Europa über den Zweiten Weltkrieg, vor allem im musealen Kontext, gesprochen und die Schuldfrage zukünftig verhandelt werden soll. Müssen wir Erinnerungskultur also als nationales oder gerade der Zukunft einer europäischen Gemeinschaft wegen, vielmehr als europäisches Projekt begreifen? Dies ist auch insofern relevant, als dass die Auseinandersetzung um das Danziger Museum weit über den musealen, rein polnischen Kontext hinausgeht: Denn europäische Demokratien werden gegenwärtig durch Autokratisierungstendenzen, wie sie in Polen oder Ungarn zu beobachten sind, vor gänzlich neue und besorgniserregende Herausforderungen gestellt. Gut verdeutlicht wird dies durch die sich erst jüngst ereignete polnische und ungarische Blockade des EU-Haushaltes und den Streit um rechtsstaatliche Prinzipien in der EU.

Machcewicz geht davon aus, dass Berührungspunkte von Geschichte und Politik unvermeidbar sind. Doch was passiert, wenn erinnerungskulturelle Diskurse und vermeintlich historische ‚Wahrheiten‘, die wie im Falle Polens politisch instrumentalisiert werden, die historischen Ereignisse, auf die sie sich beziehen, zunehmend zu überlagern scheinen (Katrin Pieper, 2013; siehe Literaturliste am Ende des Beitrags)? Dieser Beitrag setzt sich deshalb zum Ziel sich genau diesem Problempunkt zu widmen und im Rahmen der Kontroverse um das Danziger Weltkriegsmuseum der Frage nachzugehen, wieso das Danziger Museum des Zweiten Weltkrieges sowohl als Indikator als auch Katalysator eines Narrativwechsels der Erinnerungskultur in Polen gelten kann. Zur Verdeutlichung dessen, werden zwei Videos der alten und neuen Ausstellungskonzeption des Museums herangezogen, die letztlich aufzeigen werden, wie die aktuelle nationalistische Geschichtspolitik der PiS-Regierung die kritische Reflexion über den Zweiten Weltkrieg verändert und wieso diese eine europäische Zukunft teilweise sogar zu verhindern droht. Zu finden ist der Film der alten Ausstellungskonzeption unter folgendem Link. Der neue Film ist auf dem YouTube-Kanal des IPN selbst zu finden oder hier einzusehen. Zunächst wird ein kurzer Überblick über die Ereignisse und Positionen rund um das Museum des Zweiten Weltkrieges gegeben. Im Hauptteil dieses Essays werden durch eine direkte Gegenüberstellung der zwei Videos, die sich diametral gegenüberstehenden Positionen der linksliberalen und pro-europäischen bzw. rechtskonservativen und nationalistischen Vertreter*innen in der Kontroverse sowie ihre unterschiedlichen Strategien der Geschichtsvermittlung herausgearbeitet. Abschließend wird auf Grundlage der vorgenommenen Analyse die zentrale Frage dieses Essays beantwortet, für eine europäische Erinnerungskultur plädiert und die Kontroverse in einen größeren, europäischen Zusammenhang eingeordnet.

Abb. 1: Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig, 2019
Quelle: Deutschlandfunk Kultur

Zunächst erscheint es also relevant in die allgemeine Kontroverse rund um das Museum einzuführen und der Frage nachzugehen, welche geschichtspolitischen Aspekte in Polen besonders hervorzuheben sind. Laut Aleida Assmann (2012) und Monika Heinemann (2020) sind innerhalb Europas seit den 1990er Jahren zwei erinnerungspolitische Tendenzen zu erkennen, die sich auch in Polen manifestieren: Auf der einen Seite stehen eher liberale Museumsmacher*innen, die der kritischen Geschichte zuzuordnen sind und sich unter Berücksichtigung widerstreitender Perspektiven auch auf negative Aspekte polnischer Geschichte beziehen. Auf der anderen Seite entwerfen eher rechtskonservative Anhänger*innen der affirmativen Geschichte ein Ethos des Nationalstolzes und eine heroisch-martyrologische Vision polnischer Vergangenheit. Seit der Regierungsübernahme der PiS-Partei im Jahr 2015 wurde damit im Sinne der affirmativen Geschichte eine neue Phase des Museumsbooms eingeleitet, die sich laut Heinemann vor allem durch eine provokante Geschichtspolitik und die Durchsetzung heroisch-martyrologischer Geschichtsbilder in Museen unter Missachtung ihrer institutionellen Unabhängigkeit auszeichnet. Peter Oliver Loew (2008) verdeutlicht, dass der polnische Staat mithilfe dieser Politik das polnische Nationalbewusstsein und den Stolz der Polen als Gemeinschaft stärken wolle. Der Fokus liegt hier also klar auf der Stiftung einer inneren Identität (Klaus Bachmann, 2018) und auf einer Stärkung des Bildes Polens im Ausland als eine Nation, die traditionellen Werten zugewandt sei (Andrzej Kaluza, 2018). Entgegen der um das Jahr 2000 stattfindenden und von staatlichen Akteuren unabhängigen Museumsrevolution, die von einer Pluralisierung und Europäisierung gekennzeichnet war, sind seit der Machtübernahme der PiS inhaltlich divergierende Museen nicht mehr gerne gesehen (Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien, 2019). Kulturinstitute wurden vielerorts neugegründet, auf ihre patriotische Tauglichkeit geprüft oder angewiesen gezielt polnische Gruppen anzusprechen (Klaus Bachmann, 2018). Besonders die Kontroverse um das Danziger Museum lässt daher die unterschiedlichen und konfliktreichen Standpunkte im Umgang mit der Vergangenheit deutlich werden.

Wie Machcewicz (2012) erläutert, wurde die Idee zur Gründung des Museums des Zweiten Weltkrieges in der geschichtsträchtigen Stadt Danzig im Jahre 2007 von dem damaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk geäußert. Im September 2008 ernannte der liberal-konservative Tusk Machcewicz schließlich zum Museumsdirektor. In dem neu errichteten Museum in Danzig sollte der hohe Stellenwert des Zweiten Weltkrieges durch eine ganz eigene Darstellung im Sinne der kritischen Geschichte präsentiert werden, die sich von den Erinnerungen des ‚alten Europas‘ zu lösen versuchte. Die Darstellung zielte auf eine universelle und europäische Botschaft ab, die die Gesamtheit der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges unter besonderer Berücksichtigung Polens und der Länder Mittel- und Osteuropas vor Augen führte. Damit beabsichtigten die Museumsmacher*innen den blinden Fleck im kollektiven Gedächtnis der westlichen Staaten über das Schicksal der osteuropäischen Staaten aufzulösen und beide Narrationen als gleichberechtige Erfahrungen nebeneinanderzustellen. Die diversen historischen Gedächtnisse sollten also nicht im Sinne eines einheitlichen Masternarrativs, welches alle nationalen und regionalen Differenzen aufzuheben versucht, sondern vielmehr durch die Hervorhebung der einzelnen historischen Erfahrungen und kulturellen Unterschiede miteinander verbunden werden – so Machcewicz. Im Gegenzug bargen solche musealen Konzeptionen in Polen seit der Machtübernahme der PiS beträchtliche Gefahren, denn es herrschte in konservativen Kreisen vielerorts die Ansicht, dass eine solche Erzählung das Gesamtbild des Krieges und die Frage nach der Verantwortung für den Krieg verzerren könnte. Man wollte die nationale Identität eben gerade nicht auf Kosten einer europäischen Identität aufgeben.

Nach 2015 war die Errichtung eines solchen Museums besonders Kulturminister Piotr Gliński ein Dorn im Auge, der daraufhin eine Neubesetzung der Direktion anstrebte (Reinhold Vetter, 2016). Die Neubesetzung zahlreicher Kultureinrichtungen mit regierungsnahen Personen war dabei auch laut Klaus Bachmann (2018) längst keine neue Strategie mehr und die PiS diffamierte das Vorhaben Machcewiczs und seiner Kolleg*innen als „unpolnisch“ und dem „Geist der Nation schadend“. Es fehlte ihnen, in den Worten Andrzej Kaluzas (2018) ausgedrückt, an der von ihnen propagierten ‚historischen Wahrheit‘. Um Machcewiczs Entlassung letztlich zu vollziehen und die Dauerausstellung noch vor der Eröffnung im März 2017 konzeptionell zu verändern, beabsichtigte Gliński daher das Museum mit dem bis dato lediglich auf Papier bestehenden Museum der Westerplatte und des Krieges 1939 zu vereinen. Monika Heinemann (2020) führt weiter aus, dass Paweł Machcewicz und einige andere schließlich gegen die Entscheidung gerichtlich, u.a. unter Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und uneingeschränkte Kulturtätigkeit, vorgingen. Zunächst gelang es dadurch die Fusionierung aufzuschieben und das Museum am 23. März 2017 inklusive der ursprünglich geplanten Dauerausstellung zu eröffnen. Doch kurz darauf, Anfang April 2017, ermöglichte ein Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts letztlich doch die Vereinigung der beiden Museen und Machcewicz wurde am 6. April seines Amtes als Museumsdirektor enthoben. Bereits am 7. April trat Karol Nawrocki, ein bis dahin unbekannter, aber der PiS nahestehender Historiker, Machcewiczs Amt an (Monika Heinemann, 2020; Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien, 2019). Laut Monika Heinemann blieben allerdings massive internationale Proteste und Solidaritätsbekundungen letztlich erfolglos.

Auch wenn es für die Leser*innen dieses Beitrages erst einmal zentral war etwas über die sich gegenüberstehenden Positionen und Ereignisse rund um das Museum des Zweiten Weltkrieges zu erfahren, bleibt bis hierhin immer noch eine Frage offen: Inwiefern erscheinen die ausgewählten Videos der alten und neuen Ausstellungskonzeption und ein Vergleich dieser als relevant? Dass sich die Geschichtsnarrative der PiS-Regierung maßgeblich von denen der früheren, liberaleren Museumsdirektion unterschied, ist bereits angeklungen. Doch genau diese Unterschiede und wie die Narrative aktiv vermittelt werden, soll mithilfe der Heranziehung der zwei Filme genauer verdeutlicht werden.

Ein kurzer Kontext hierzu: Das erste Video wurde ursprünglich in der Daueraustellungskonzeption von Paweł Machcewicz integriert. In der Schlusssequenz der Ausstellung The Long Shadow of the War, in der die wichtigsten Folgen und Wechselbeziehungen des Zweiten Weltkrieges nach 1945 bis heute aufgezeigt wurden, hatte der Film die Funktion eines Fazits bzw. Mementos, wie Machcewicz selbst beschreibt (Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien, 2019). Nachdem Nawrocki als neuer Museumsdirektor eingesetzt wurde, markierte die Entfernung dieses Abschlussfilmes die erste Änderung in der Ausstellung. In dem Annual Report des Museums im Jahre 2017 wurde die Entfernung wie folgt begründet: „The last change introduced in 2017 was adding a new film […], replacing the previous production, which was politically and ideologically charged and marginalised many threads of fundamental importance for the story about the shaping and functioning of the post- war era”. Dieser Film ist heute lediglich in Form einer Handyvideoaufnahme in eher mäßiger Qualität und ohne Titel im Internet zu finden. Ersetzt wurde dieser durch einen durch das IPN bereitgestellten Animationsfilm mit dem Namen The Unconquered. Dieser fungiert nun ebenfalls als Schlusssequenz am Ende der neuen Dauerausstellung und wurde zum Anlass des 100. Jahrestages der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit Polens in Auftrag gegeben, um vor allem auch ausländische Internet-Nutzer zu erreichen (Andrzej Kaluza, 2018). Dass hierfür zudem die Synchronstimme des Schauspielers Sean Bean gewonnen werden konnte, zeigt nochmals deutlich welcher Stellenwert dem Film und seiner Produktion beigemessen wurde. In der folgenden Analyse wird zu zeigen sein, ob dieser weniger politisch und ideologisch aufgeladen ist als von dem ersten Film behauptet wird. Der Name gibt allerdings bereits dezente Hinweise hierauf.

Bevor im folgenden Abschnitt mit der Analyse begonnen wird, ist es für die Leser*innen des Beitrags also zentral, sich die beiden Filme anzusehen und einen ersten allgemeinen Eindruck zu verschaffen. Zunächst wird sich nun allgemeinen Unterschieden zwischen den Filmen gewidmet, bevor im nächsten Teil spezifischere Aspekte zur Analyse herangezogen werden.

Interessant erscheint zunächst, dass in beiden Videos die Ost- und Westfronten auf ganz unterschiedliche Art und Weise visualisiert werden: Während diese im alten Film durch zwei separate Bildschirme (Westen links, Osten rechts) mit größtenteils unterschiedlichen Videoausschnitten (hierzu später mehr) durch eine in der Ausstellung installierte Mauer abgebildet wurden, werden die Fronten im neuen Film auf einem einzigen Bildschirm durch eine bestimmte farbliche Darstellung erzeugt (anzumerken ist hier, dass die Mauer als Symbol des Eisernen Vorhangs auch noch heute erhalten ist, auch wenn sie ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllt). Die Sowjetunion wird hier als rote Macht, Nazi-Deutschland als graue Macht visualisiert. Doch auch der alte Film greift die Farbigkeit zumindest in einer Szene auf (ca. 1:23 min): Die Einblendung der Weltkarte zeigt hier das Symbol des NATO-Paktes in Blau auf der linken und das Symbol des Warschauer Paktes in Rot auf der rechten Seite (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Die Ost-West-Front im alten (links) und neuen Film (rechts), 2017
Quelle: Wyborcza

Es zeigt sich schnell, dass im neuen Film lediglich die militärische Rolle Polens im Krieg und nicht nach dem Krieg im Vordergrund steht, da der Film zwar die Jahre 1939-1989 illustriert, aber sich lediglich fünf von insgesamt 32 Szenen der Nachkriegszeit widmen. Die Narration erfolgt aus einer rein polnischen Perspektive und hat einen klaren martialischen Fokus. Dies drückt sich sowohl durch das Zeigen fast ausschließlich kriegsbezogener Szenen als auch durch die permanente Verwendung von martialischem Vokabular aus (ausgenommen sind Szene 17, 29 und 30), wie z.B. in Szene 1 „Its goal was to destroy Poland“, Szene 7 „The Germans murder millions of polish civilians“ oder auch Szene 14 „The Germans call us Black Devils as we crush their resistence“. Der alte Film hingegen konzentriert sich auf alle hervortretenden Nationen in der Nachkriegszeit ab 1945 bis einschließlich heute (2017) und lässt das spezifische Geschehen in Polen während des Krieges größtenteils außen vor. Auch die gezeigten Szenen im neuen Film heben ganz andere, ausschließlich für Polen relevante und sich dort ereignete Ereignisse ab, wie etwa in Szene 28, den Besuch des Papstes, den Dezember-Aufstand in Danzig 1970 oder den Posener Arbeiter Aufstand 1956. Im alten Video hingegen lässt sich eine universellere Botschaft allein anhand der Auswahl der Szenen ausfindig machen, da hier Ereignisse global gedacht werden und Konflikte der Nationen untereinander miteingebunden werden, wie z.B. die Kubakrise (ab 1:05 min), der Koreakrieg (ab 0:15 min), das Civil Rights Movement (ab 0:55 min) oder gar die aktuellen Proteste in Hong Kong (2020/21) (ab 3:43). Der Film bedient sich außerdem im Allgemeinen weniger gesprochenen Botschaften Vokabular und wenn, vermittelt dies oftmals freiheitliche und pazifistische Botschaften, wie z.B. Martin Luther Kings Worte “I have a dream“ oder Harry S. Trumans Aussage gleich zu Beginn des Films „The flags of freedom fly all over Europe“. Die Szenen stehen hier größtenteils für sich oder werden musikalisch untermalt, z.B. durch das Lied House of the Rising Sun von den Animals. Auch wenn in beiden Filmen die Szenen durch Schnitt und Kamerafokus auf bestimmte Art und Weise inszeniert werden, sind im alten Film Originalaufnahmen ‚realer‘ Szenen von ‚realen‘ Menschen und Ereignissen zu sehen – im Gegensatz zum neuen Film, der Animationen, wie in einer Art Computerspiel, benutzt.

Im Folgenden wird auf drei spezifischere Vergleichsaspekte der Filme eingegangen: den zivilgesellschaftlichen Aspekt, Heroisierung und in diesem Zuge auch auf das Opfer-Täter-Narrativ. Da es im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich ist alle Szenen zu einem direkten Vergleich heranzuziehen, werden die Aspekte lediglich an einzelnen, repräsentativen Szenen verdeutlicht. Ein zentrales Merkmal des alten Films stellt zunächst der Fokus auf die Zivilgesellschaft dar. Dies wird nicht nur dadurch sichtbar, dass die gesamte alte Dauerausstellung individuelle Schicksale, wie Erfahrungen von Soldaten, Häftlingen, Familien unabhängig ihrer Nationalität hervorhebt und damit statt auf Militärgeschichte vor allem auf Alltagsgeschichte eingeht, wie auch Machcewicz (2009) anmerkt. Sondern auch durch einzelne im Film gezeigten Szenen, wie z.B. Aufnahmen im Zuge der Kubakrise von Kindern mit Waffen in ihren Händen (ab 1:05 min), von Feuerwehrmännern am 11. September 2001 (ab 3:11 min), amerikanische und sowjetische Werbeaufnahmen, die westliche, bürgerliche Prosperität der östlichen Armut gegenüberstellen (ab 0:24 min) (siehe Abb. 2) oder die zahlreichen Widerstandsbewegungen nach 1945, wie die Bürgerrechtsbewegung in den USA (ab 0:55 min) sowie Aufnahmen der Proteste des Prager Frühlings 1968 (ca. ab 1:52 min). The Unconquered hingegen lässt zivilgesellschaftliche Perspektiven außen vor und legt den Fokus auf Militärgeschichte. Dies erscheint nicht zuletzt aufgrund der geäußerten Kritik der neuen Museumsdirektion, dass dadurch die Leiden während des Krieges übermäßig betont werden würden, nicht verwunderlich. Dies lässt sich gut anhand der dritten und zwölften Szene verdeutlichen: Hier sieht man zunächst nah herangezoomt die Augen eines einzelnen polnischen Soldaten, dessen Perspektive im Folgenden eingenommen wird. Diese Inszenierung zieht sich schließlich durch den gesamten Film: Es wirkt als wäre der*die Zuschauer*in als Soldat*in am Kampf selbst beteiligt (siehe z.B. Szene 13, 15, 21, 23). Auffällig ist hier allerdings, dass bis auf die dritte und zwölfte Szene alle im Film vorkommenden Personen und deren Gesichter verschwommen und unscharf bleiben, z.B. in Szene 5, in der der polnische Untergrundstaat hervortritt, obwohl gerade dieser doch als die polnische, zivile Massenbewegung schlechthin bezeichnet werden kann (siehe Abb. 4). Es könnte in diesem Zusammenhang also vermutet werden, dass die gezeigten Menschen als eine Art Repräsentation der polnischen Bürger*innen fungieren. Die Zuschauer*innen sollen sich demnach selbst mit dieser Person identifizieren können bzw. sich so fühlen, als würden sie sich im animierten Kriegsspiel selbst befinden, weshalb die verschwommenen Gesichter sozusagen austauschbar bleiben.

Abb. 3: Werbeaufnahmen aus Ost und West im alten Film, 2017
Quelle: Wyborcza
Abb. 4: Der polnische Untergrundstaat im neuen Film, 2017
Quelle: The Unconquered Movie

Nun wird im Folgenden auf den zweiten zentralen Aspekt des Filmvergleichs näher eingegangen: Heroisierung. Es wird sichtbar, dass der neue Film der Dauerausstellung das polnische Volk als gesamte Nation heroisiert. Es werden in einem Wechselspiel Szenen gezeigt, die zunächst die Unterdrückung der polnischen Nation visualisieren und somit auf die Opfer- und Sonderrolle Polens, das von zwei Staaten zugleich unterdrückt wurde, eingehen, wie z.B. in Szene 7 „We suffer two occupations“ (oder Szene 2-3, 8-9). Diese Einkesselung wird auch besonders in Szene 3 deutlich, in dem der bereits thematisierte polnische Soldat sich gegen zwei herannahende Wände (die Sowjetunion als rote und Nazi-Deutschland als graue Macht) behaupten und diese schließlich mit eigenen Händen aufhalten muss (siehe hierzu auch Abb. 2). Der Krieg wird hier also vornehmlich als ein Krieg der Nationen dargestellt, in dem Polen als Einzelkämpfer der Sowjetunion sowie Nazi-Deutschland als unterdrückerische Mächte gegenübersteht. Das Ziel Polen als Opferstaat, dem übermäßiges Unrecht angetan wurde, zu repräsentieren zeigt zudem Szene 20 auf: „[Poland] are the first to alert the world about the Holocaust“. Als der polnische Offizier Jan Karski jedoch die Nachricht im Westen überbringen will, wendet sich der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt lediglich von ihm ab („but nobody listens to us“). Die eingesetzten Wir-Narrative, die hier und in nahezu jeder Szene hervorstechen, zielen zudem auf den Aufbau eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls. Genau diese Strategie hebt auch Andrzej Kaluza (2018) in seinem Aufsatz hervor: Denn in der Geschichtspolitik der PiS sollen Tendenzen, die Polen als Mitwisser oder Mittäter identifizieren, widersprochen und anstatt dessen Polens Opferrolle hervorgehoben und die Heldentaten der polnischen Geschichte betont werden. Der Film erzeugt so eine Art Schwarz-Weiß-Denken im Sinne eines Täter-Opfers-Narrativs: Polen als Opfer, Sowjetunion und Nazi-Deutschland als Täter. Hier scheint auch die Kritik an der zivilgesellschaftlichen Perspektive wiederum nicht weit entfernt: Denn laut den rechtskonservativen Museumsmacher*innen führe diese zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Opfer und Täter.

Der zweite Teil dieses Wechselspiels besteht im Gegensatz zum Opfernarrativ aus Szenen, die den polnischen Widerstands- und Kämpferwillen deutlich werden lassen, d.h. auf die martyrologische Betonung der bereits erwähnten polnischen Heldentaten zurückzuführen sind. Diese sind, wie bereits anfangs festgestellt, im gesamten Film größtenteils martialischer Natur bzw. werden so inszeniert. Dies wird z.B. in Szene 22 während des Warschauer Aufstands 1944 aufgezeigt, als die Kotwica als das Zeichen der Widerstandsbewegung der polnischen Heimatarmee eingeblendet wird. Eine Heroisierung einzelner Persönlichkeiten als Kriegshelden bleibt ebenso wenig aus, z.B. wird in Szene 14 gezielt auf die Panzerdivision Black Devils unter General Stanisław Maczek (siehe Abb. 5) abgehoben, Jan Karski in Szene 20 eingebunden, oder in Szene 27 auf die sogenannten ‚verfemten Soldaten‘ als antikommunistische Einheiten aufmerksam gemacht. Hierbei gibt es allerdings auch Ausnahmen: Szene 16 zeigt nicht nur militärische, sondern auch intellektuelle Errungenschaften, wie die Errichtung eines Home Intelligence Service oder Szene 24 die Entschlüsselung des Enigma Codes. In Szene 17 und 18 wird das polnische Volk außerdem als Retter der Juden inszeniert: Eine Frau in einem Krankenschwesterkostüm wird eingeblendet, deren Versteck mit polnischen Kindern von den vorbeilaufenden Soldaten unentdeckt bleibt. Auch hier sind weder die Gesichter der Frau, der Kinder, noch der Soldaten zu erkennen, die eine individuelle Identifikation der Zuschauer*innen möglich werden lassen. Die polnische Nation fungiert im Film auch oftmals als Vorreiter, wie bereits das oben angeführte Zitat aus Szene 20 veranschaulicht. Auch Szene 5 illustriert diese Hervorhebung nochmals im unten eingeblendeten Text, dass Polen als die erste europäische Nation galt, die militärischen Widerstand gegen das Dritte Reich leistete oder wie bereits angeklungen ist, den Enigma-Code entschlüsselte (Szene 24: „We break the German Enigma Code saving millions of lives“). Das Retter-Narrativ wird hier abermals sichtbar. In Szene 24 tritt zudem das Wir-Narrativ wieder besonders hervor, denn auch wenn die Entschlüsselung lediglich auf einen polnischen Mathematiker zurückzuführen ist, wird dies als gesamtnationale, polnische Heldentat inszeniert. Diese Überhöhung der kriegerischen Errungenschaften zielt noch einmal mehr auf den Nationalstolz der Polen ab. Polen als eine Nation, die eben trotz der Einkesselung durch zwei unterdrückerische Staaten und trotz seiner ganzen Leiden ihren Kampfwillen und unbeugsame Haltung nicht verliert (Szene 5: „We don’t give up despite being left on our own“). Dieser Kampfwille bleibt letztlich solange präsent, bis in Szene 32 der Fall des rot eingefärbten Eisernen Vorhangs 1989 durch Arbeiter*innen der Solidarność-Bewegung erreicht wird. Aufgrund dieser Inszenierung und Hervorhebung der Heroisierung der polnischen Nation bzw. des Täter-Opfer-Narrativs erscheint es ebenfalls nicht verwunderlich, dass die im Film gezeigten historischen Ereignisse nicht in einer chronologischen Reihenfolge gezeigt werden. Oftmals sind zeitliche Sprünge zu erkennen, z.B. von Szene 12 auf 13 (von 1943 zu 1939) oder gleich zu Beginn des Films von Szene 1 auf 2 (von 1939 zu 1935). Das Ziel des Films ist es also nicht, die Ereignisse basierend auf ihrem wahren Ablauf und Inhalt abzubilden. Es werden lediglich einzelne Ereignisse fokussiert, in einem Wechselspiel von Unterdrückung und Widerstand und so eben die erläuterten Narrative besonders hervorgehoben. Es kommt hier so zur Erzeugung verfälschter Bilder der Vergangenheit. Die Vermutung, dass dieser Film folglich vielmehr als eine politische Propaganda der PiS fungiert, liegt dabei sehr nah.

Abb 5.: Heroisierte Persönlichkeiten im Vergleich, 2017
Quellen: The Unconquered Movie, Wyborcza

Im direkten Vergleich zum neuen Film behandelt der alte Film das Thema der Heroisierung auf ganz andere Art und Weise. Hier wird der Fokus nicht ausschließlich auf polnische Personen oder Gruppen gelegt, die militärische Heldentaten vollbrachten. Es werden vielmehr heroische Persönlichkeiten oder Symbole des Ostens und Westens nebeneinandergestellt, seien diese aus Musik (Jimmy Hendrix und Beatles 1:37 min), Fernsehen (Mickey Mouse, 2:16 min), Religion (Dalai-Lama, 2:27 min), Politik oder der Zivilgesellschaft. Besonders deutlich sticht die Heroisierung ab Sekunde 0:37 hervor (siehe Abb. 5). Hier wird symbolisch für den Westen Elvis Presley eingeblendet, der die Zeilen „You make my dreams come true“ singt und kurz danach der Bau von VW-Käfern. Auf der rechten, östlichen Seite tritt ein Zeitungsartikel in den Vordergrund mit der Überschrift „Stalin dies“. Kurz darauf sind weinende und trauernde Menschen im Bild zu sehen. Während im Westen zu dieser Zeit sowohl Elvis als Vorbild verehrt wurde, trauern die Menschen im Osten um ihr Staatsoberhaupt Stalin. Ähnlich wie im neuen Film, wird hier ebenfalls durch die Erfindung des VW-Käfers auf kollektive, intellektuelle bzw. technologische Errungenschaften eingegangen. Dennoch werden auch oftmals zivilcouragierte Personen, die sich gegen Ungerechtigkeiten und für die Freiheit einsetzten, wie z.B. Martin Luther King und Che Guevara besonders herausgestellt (ab 0:58 min). Ein zu hervorhebendes Narrativ des alten Films ist zudem, dass Heroisierungen oftmals parallel mit negativen Geschehnissen hervortreten, so auch zu sehen ab Minute 2:47, in der links die Freilassung Nelson Mandelas, als ein prominenter Kämpfer gegen Ungerechtigkeit, im Jahre 1989 gezeigt wird und rechts Aufnahmen des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking in Erscheinung treten. Ähnlich auch ab Minute 1:31, in der auf dem linken Bildschirm Auftritte der Beatles sowie Jimmy Hendrix und rechts die Explosion einer Atombombe gezeigt werden (siehe Abb. 6). Während also im neuen Film Widerstandsbewegungen des polnischen Volkes und die Unterdrückung des Dritten Reiches und der Sowjetunion in einem Wechselspiel gezeigt werden, verlaufen Unterdrückungen/Krisen und Widerstandsbewegungen sowie Heroisierungen einer Gesellschaft im alten Film häufig parallel, eben je nachdem welcher Teil der Erde (Westen oder Osten) fokussiert wird. Nationale Krisen werden hier in einen größeren, globalen Zusammenhang eingebettet und mit anderen Krisen oder Ereignissen irgendwo anders auf der Welt gegenübergestellt, seien diese zu dem ausgewählten Zeitpunkt eben positiv oder negativ. Hier wird also eine Botschaft deutlich sichtbar, wie Andrzej Hoja (2017) sie beschreibt, „that evil has no nationality“. Im Gegensatz zum neuen Film bleibt hier also auch die zuvor genannte Schwarz-Weiß-Malerei eines Opfers und Täters aus. Alle Menschen auf dieser Welt können früher oder später zum Opfer sowie Täter werden, unabhängig ihrer Nationalität. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass in der alten Dauerausstellung auch die Untaten der Polen, z.B. bei der Vertreibung der Deutschen aus Polen nach Kriegsende, präsentiert werden und diese Konzeptionen unter massiver Kritik durch die neuen Museumsmacher*innen standen. Verdeutlicht wird im alten Film somit, dass eben nicht, wie im neuen Film durchweg präsent, nur Deutsche oder Sowjetrussen als Täter identifiziert werden können, sondern diese vermeintlichen Täter über die Zeit auch Unrecht ausgesetzt waren. Menschen einer Nation können eben gerade nicht kollektiv für bestimmte Handlungen verurteilt werden.

Abb.6: Helden im Westen, Zerstörung im Osten, 2017
Quelle: Wyborcza

Besonders die im alten Film gezeigten Unterdrückungen, wie das Aufkommen des Ku-Klux-Klans (ab 0:48 min), der Irish Republican Army (ab 2:16 min) oder diverse Kriege, wie der Korea-Krieg (0:15 min), Vietnam-Krieg (ab 1:38 min) oder der Zweite Irak-Krieg (ab 3:15 min) illustrieren, dass das Jahr 1945 für die meisten Staaten des Ostens und Westens keine Freiheit bedeutete, sondern den Beginn einer neuen Unterdrückung markierte. Diese Unterdrückungen sind jedoch gerade nicht auf einzelne Nationen zurückzuführen, sondern auf komplexere, größere Zusammenhänge und ein universell ausgeprägtes Machtstreben. Vielmehr wird der Fokus auf die Menschen und ihre teilweise unterdrückerische, schlechte Natur selbst gelegt und wie es möglich ist, diese, mithilfe von Widerstand, zu bekämpfen.

Deshalb ist es im alten Film umso zentraler, dass die universelle Botschaft „evil has no nationality“ gerade nicht nur bis ins Jahr 1989, bis zum Fall des Eisernen Vorhangs, sondern bis heute andauert. So formuliert auch Machcewicz: „Through this film, we […] wanted to show that the war wasn’t a closed chapter, it wasn’t the past. Violence, the suffering of civilians, is still going on around us. The propensity to violence is inside us; it is part of the human condition” (Julia Michalska, 2017).

Abschließend geben die auch die Endsequenzen beider Filme nochmals die zwei sich diametral gegenüberstehenden Perspektiven einer auf der einen Seite universalen/europäischen und auf der anderen Seite einer rein nationalistischen Geschichtsvermittlung zu erkennen. Im alten Film gleichen sich die beiden Ost-West-Bildschirme letztlich sowohl inhaltlich als auch visuell gegen Ende des Filmes immer mehr an (ab 4:30 min). Die anfangs stark verhärteten Ost-West-Fronten scheinen heute also so nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Durch das Aufkommen neuer Gefahren, wie z.B. terroristische Organisationen wie die PKK (ab 4:18 min) und Ost-West-übergreifende Konflikte, wie z.B. die Flüchtlingskrise 2015 (ab 4:46 min) scheint eine Trennung der Bildschirme am Ende überflüssig und die Bildschirme werden schließlich zu einem einzigen zusammengeführt. Und genau hier greift ein wesentlicher Unterschied: Im alten Film wiegen die Leiden aller Menschen auf der ganzen Welt letztlich gleich viel. Im neuen Video allerdings beansprucht das eigene, nationale Leid der Polen viel mehr Platz als das Leid, das andere erfahren bzw. das man sogar anderen selbst zugefügt hat (Vergleich zu Aleida Assmanns Ausführungen, 2012). Dies zeigt auch die Schlusssequenz und die abschließenden von dem polnischen Kriegsheld Witold Ubranowicz entlehnten Worte: „We do not beg for freedom, we fight for it“. Während Polen also am Ende des Films als freie Nation aufgrund ihres kämpferischen Widerstands erscheint, hinterlässt der alte Film den Eindruck einer durchweg präsenten Unfreiheit in vielen Teilen der Welt. Ungerechtigkeit und Ungleichheit spielt also zwar bei beiden Filmen eine zentrale Rolle, allerdings werden diese aus höchst unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Doch eine positive Botschaft bleibt beiden Filmen am Ende dennoch gemein: Egal, wie viel Unterdrückung die Welt (im alten Video) bzw. Polen (im neuen Video) erfährt, die unbeugsame Haltung sich aus Unterdrückung bzw. aus neu aufkommenden Krisen zu befreien haben sowohl die Polen als auch die im alten Film vorkommenden Personen und Gruppen gemeinsam.

Letztlich bleibt die eingangs aufgeworfene Frage, wieso das Danziger Museum des Zweiten Weltkrieges sowohl als Indikator als auch Katalysator eines Narrativwechsels der Erinnerungskultur in Polen gelten kann, noch in einem abschließenden Fazit zu beantworten. Anhand der Analyse der Museumsfilme der alten und neuen Ausstellungskonzeption konnte beispielhaft gezeigt werden, dass die Arten der Geschichtsvermittlung stark voneinander abweichen und unterschiedliche Narrative erzeugt werden. Die Vermittlung des neuen Films fokussiert das nationale Gedächtnis und somit den Aufbau einer nationalen Identität. Es wurden drei Rollen sichtbar: Die des Opfers, das das Böse, verschuldet durch ‚die Täter‘, in einem Maße wie kein anderer Staat erlitten hat, des Widerstandskämpfers und Märtyrers, der stets gegen das Böse kämpft und die des Siegers, der das Böse schließlich überwunden hat. Alles darüber hinaus, wie z.B. die negativen Seiten der polnischen Geschichte wurden hier ausgeblendet. Eine kritische Reflexion der Vergangenheit scheint folglich durch eine solche Vermittlung unmöglich. Durch die Entfernung und Ersetzung des alten Films, der der nationalistischen Geschichtspolitik der PiS widersprach, wird der erinnerungskulturelle Narrativwechsel im Danziger Museum einerseits besonders sichtbar und auch die generelle Kontroverse konnte zeigen, wieso das Museum als Indikator dieses Wechsels fungiert. Andererseits wird durch diese Entfernung und Ersetzung auch deutlich, dass die Kontroverse um das Museum als Katalysator gelten kann, da sich von europäischen bzw. universellen Narrativen gelöst wurde und diese daraufhin diffamiert und zum Teil auch zensiert wurden (sichtbar dadurch, dass z.B. das alte Video heute lediglich als Handyaufnahme existiert). Auch die Entlassung Machcewiczs, die internationalen Reaktionen auf die Debatte oder die auf der Museumsseite öffentlich zugänglichen jährlichen Annual Reports des Museums (besonders in 2016 und 2017) zeigen auf, dass der Streit um das Museum den Narrativwechsel geradezu befeuerte und die Fronten verhärten ließ. Nicht zuletzt manifestiert sich dieser Wechsel auch in der Einleitung eines neuen Museumsbooms durch die PiS-Regierung und der Schaffung etlicher neuer, patriotisch geprägter Museen.

Es fällt schließlich schwer, wie auch Andrzej Kaluza (2018) beschreibt, die Geschichtspolitik Polens als die eines freiheitlichen, demokratischen europäischen Staates zu begreifen. Denn durch die Veränderung in der Erinnerungskultur wird beabsichtigt, direkten Einfluss auf die Ansichten der polnischen Bürger*innen zu nehmen und die Deutungshoheit über aktuelle, erinnerungskulturelle Diskurse zu gewinnen. Gerade die dadurch erzeugte Schwarz-Weiß-Malerei erinnert dabei doch schwer an autoritäre Propaganda. Es wurde durch den neuen Film deutlich, dass nicht nur Bilder der Vergangenheit verfälscht werden, sondern auch ein kritischer Blick auf die Vergangenheit quasi ausbleiben muss. Zudem bleibt die polnische Zivilbevölkerung letztlich auf der Strecke: Denn die dadurch entstandenen Differenzen müssen auch gesamtgesellschaftlich ausgehandelt werden. Ein Vertrauensverlust in polnische Kulturinstitutionen oder der Ausschluss großer Teile der Bevölkerung, die dem Geschichtsnarrativ der PiS-Regierung nicht zustimmen, wie auch Machcewicz anmerkt (Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien, 2019), seien hier nur als mögliche Problempunkte genannt.

Die Vermischung von Geschichte und Politik und der Fakt, dass die ‚historische Wahrheit‘ unterschiedliche Auslegungen erfährt, halte auch ich – und hier schließe ich mich Machcewicz an – für eine besorgniserregende Entwicklung in Europa. Denn hinzukommt, dass die polnische Regierung sich in keiner Weise nur auf Museen ihres eigenen Staates beschränkt, sondern auch andere, ähnliche Konzeptionen in europäischen Museen, wie im Haus für Europäische Geschichte in Brüssel, scharf angreift. Es kommt für mich die Frage auf, wie das Konstrukt „Europa“ in Zukunft gestaltet werden will. Denn die Blockade des EU-Haushaltes und der Streit um rechtsstaatliche Prinzipien zeigen nicht zuletzt auf, dass auch die europäische Gemeinschaft und ihre demokratische Legitimation durch die Einbindung von Staaten mit autokratischen Tendenzen in die politischen Institutionen der EU, wie dem Europäischen Rat, zukünftig in Gefahr zu seien scheinen. Umso zentraler ist es deshalb den Mehrwert von europäisch und universell gedachten Museumskonzeptionen, wie der der alten Museumsmacher*innen zu betonen und für eine integrierte Erinnerungskultur zu plädieren. Denn ganz im Sinne der dialogischen Erinnerung nach Aleida Assmann (2012) oder auch der Prozedualisierung und Wertegeneralisierung nach Hans Joas (2002) birgt eine retrospektive Reflexion des eigenen und das den Nachbarn zugefügten Leids die Chance einer gegenseitigen Anerkennung heterogener Erfahrungen. Nur dadurch können Fortschritte überhaupt erreicht und gegenseitige Kritik, ja sogar Modifikationen des eigenen historischen Verständnisses angeregt werden. Dafür bedarf es nicht zuletzt auch Offenheit und der Fähigkeit zur Empathie. Denn ohne gegenseitige Anerkennung, sei dies in Politik, Geschichte, Religion etc. bleibt Europa für mich auch in Zukunft ein mehr als fragiles Konstrukt.

Dennoch bleibt ein kleiner Lichtblick zum Schluss: Aufgrund des Umstandes, wie Monika Heinemann (2020) erklärt, dass eine gesamte Neuanpassung der Dauerausstellung im Danziger Museum erhebliche finanzielle Ressourcen erfordern würde, die allerdings aktuell nicht zur Verfügung stehen, wurde der Großteil der Originalausstellung bisher weitgehend erhalten. Es wird letztlich also noch zu zeigen sein, ob der eingeleitete Narrativwechsel in der Erinnerungskultur Polens auch von Dauer sein wird oder ob dahingegen eine integrierte, europäische Erinnerungskultur Bestand hat. Anzumerken bleibt jedoch, dass Tendenzen gegen die nationalistisch geprägte Politik der PiS mit den Protesten gegen das kürzlich verschärfte Abtreibungsrecht schon heute zu erkennen sind.

Literaturverzeichnis

Assmann, Aleida (2012). Auf dem Weg zu einer europäischen Gedächtniskultur? [Vortrag im Wiener Rathaus am 30. März 2009]. Wien: Picus.

Bachmann, Klaus (2018). Viel Feind, viel Ehr. Geschichtspolitik und Außenpolitik in Polen. In: Osteuropa, 3-5, S. 413-434.

Director of the Museum of the Second World War in Gdańsk (2018). Report on the Activities of the Museum of the Second World War in 2017. [Link] Recherche am 02.01.21.

Donadio, Rachel (2016). A Museum Becomes a Battlefield over Poland’s History. New York Times [online]. [Link] Recherche am 21.12.20.

Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien (2019). Krieg im Museum: Der Konflikt zwischen Politik, Erinnerung und Geschichte in Polen. [Link] Recherche am 21.12.20.

Joas, Hans (2002). Wertevermittlung in einer fragmentierten Gesellschaft. Zu Chancen und Problemen erhöhter Kontingenz. In: Kilius, Nelson; Kluge, Jürgen; Reisch, Linda (Hg.), Die Zukunft der Bildung, S. 69-78 (Vorabdruck von III/2002q). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Heinemann, Monika (2020). Politik im Museum – der Kampf um Deutungshoheiten im polnischen Museumsboom. In: Polen-Analysen, Nr. 259, S. 2-7.

Hoja, Andrzej (2017). An Engaged Narrative: the Permanent Exhibition of the Museum of the Second World War in Gdańsk. [Link] Recherche am 21.12.20.

Kaluza, Andrzej (2018). Stolz auf Polen. Das Ringen um das patriotische Narrativ in Polens Kulturpolitik nach 2015. In: Polen-Analysen, Nr. 219, S. 2-8.

Loew, Peter Oliver (2008). Helden oder Opfer? Erinnerungskulturen in Polen nach 1989. In: Osteuropa, 8(6), S. 85-102.

Machcewicz, Paweł (2009). Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig. Die polnische und europäische Idee, die gemeinsame Geschichte zu erzählen. In: Polen-Analysen, Nr. 56, S. 2-8.

Machcewicz, Paweł (2012). „Museum statt Stacheldrahtverhaue“. Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig. In: Borodziej, Wlodzimierz; von Puttkamer, Joachim (Hg.), Europa und sein Osten. Geschichtskulturelle Herausforderungen, S. 81-103. Berlin: De Gruyter.

Michalska, Julia (2017). Outcry over Polish government’s changes to Second World War museum. The Art Newspaper [online]. [Link] Recherche am 01.01.21.

Museum of the Second World War (2017). Report on the Activities of the Museum of the Second World War in 2016. [Link] Recherche am 02.01.21.

Pieper, Katrin (2013). Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur. In: Baur, Joachim (Hg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, S. 187-212. Vetter, Reinhold (2016). Das Schicksal des Danziger Weltkriegsmuseums. Die polnische Regierung und die europäische Ausrichtung des Projektes. In: Polen-Analysen, Nr. 192, S. 2-7.

Isabelle Sarther

Isabelle Sarther ist Studentin im sozialwissenschaftlichen M.A.-Studienprogramm „Kultur und Person“ und absolvierte bereits den B.A. Sozialwissenschaft mit Auszeichnung an der Ruhr-Universität Bochum. Sie ist seit 2017 am Lehrstuhl für Soziologie mit dem Schwerpunkt soziale Ungleichheiten der TU Dortmund beschäftigt und unterstützte 2017-2019 die Projektleitung Prof. Dr. Nicole Burzan bei der Durchführung und Auswertung eines Forschungsprojektes zur kulturellen Bildung in Museen. Durch die Teilnahme an der Summer School „Geschichtsvermittlung in und über Osteuropa - Polen und Russland im Vergleich“ konnte sie ihre musealen Interessensschwerpunkte im Rahmen des Blogbeitrags zur Kontroverse um das Danziger Weltkriegsmuseum erweitern. Ihr Forschungsinteresse für den osteuropäischen Raum soll im Winter 2021 durch ein Auslandssemester in Krakau, Polen weiter gefördert werden. Außerdem engagiert sie sich seit 2019 für die Betreuung internationaler Studierender der RUB und ist seit Oktober 2020 als Stipendiatin der Köhler-Stiftung im Studierendenkolleg des Hans Kilian und Lotte Köhler Centrums tätig.

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