Architektur und Palimpsest

In den Pfingstferien 2023, in der schönsten Zeit der Natur, hatten meine Kommilitonen und ich die besondere Möglichkeit, nach Breslau zu fahren. An einem sonnigen Samstag stiegen wir in den Bus ein und begannen unsere wunderbare Reise. Von Anfang an hat Breslau (oder auf polnisch Wrocław) uns mit perfektem Wetter empfangen. Die Stadt zeigte uns ihre schönen Straßen, gemütliche Cafés und bunte Architektur, die vielfältige und schwierige Geschichte von Breslau erzählen können. Dieser Kontrast der Stile hat mich begeistert, deswegen habe ich mich entschieden, meine Enthusiasmus mit allen Leserinnen und Leser dieses Blogs zu teilen.

Ich möchte mit einem kurzen Einblick in die Geschichte von Breslau beginnen. Sie ist geprägt durch wechselhafte politische Abhängigkeit, Religionskriege und tragische Vertreibungen. Die ersten schriftlichen Erwähnungen der Stadt findet man schon im Jahre 1000, als Breslau von Otto III. und Bolesław I. unter dem ersten Namen der Stadt gegründet wurde: Vratislavia. Im Jahr 1241 wurde die Stadt bei der mongolischen Invasion signifikant zerstört. Im Jahr 1335 fiel Schlesien unter die Böhmische Krone. Unter der Herrschaft der Böhmen erfuhr Breslau seine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit. Stadt und Region unterhielten wirtschaftliche Beziehungen mit fast ganz Europa: Kaufleute aus Krakau, italienische Bankier, regelmäßige Waren- und Menschenverkehr von West nach Ost. Ab 1526 wurde Breslau ein Teil der Habsburgermonarchie. In dieser Zeit entwickelte sich die Baukunst, die neue Arten von großartigen Städten errichtete, die den Anforderungen der humanistischen Patrizier entsprachen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann die Blütezeit des Barocks nach dem Dreißigjährigen Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten (1618-1648).

Im Jahr 1741 wurde Breslau Preußen einverleibt. Zu dieser Zeit begann in der Architektur die Epoche des Klassizismus in Breslau. Während des Marschs von Napoleons Truppen durch Europa wurden die Breslauer Befestigungsanlagen abgerissen. Das hat zu großen Änderungen in der Stadtplanung geführt: Die Bevölkerung stieg stark an, da Vorstädte in das Stadtgebiet integriert wurden.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden die meisten Gebäude beschädigt oder zerstört. Am Ende des Kriegs wurde Breslau Polen eingegliedert. Die deutsche Bevölkerung wurde vertrieben und durch polnische Bevölkerung ersetzt. Während des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit wurden Gebäude in der Innenstadt mit der Berücksichtigung der historischen Charakters aufgebaut.

Schon der kurze Überblick zeigt uns, wie bunt und vielfältig die Geschichte Breslaus war und wie großen Einfluss sie auf die Architektur hatte. Jede Epoche, jede Herrschaft brachte etwas Neues zur architektonischen Vielfalt der Stadt, was diese zum Palimpsest machte. Im direkten Sinn ist Palimpsest ein antikes oder mittelalterliches Schriftstück, von dem der ursprüngliche Text abgeschabt oder abgewaschen und das danach neu beschriftet wurde, im übertragenen Sinn ist es etwas, das von etwas Neuem überlagert wird, ohne dabei völlig zu verschwinden. Das charakterisiert perfekt die architektonische Mischung, die der Stadt eine besonderes Kolorit gibt.

Was sofort ins Auge fällt, ist der Kontrast zwischen Gotik und Konstruktivismus. Man geht eine alte Straße entlang und genießt elegante Ornamente auf den Fassaden, aber ein paar Meter weiter stößt man auf ein monumentales Denkmal der 20 Jahrhunderts.

Oder umgekehrt: eine typische, graue und melancholische Straße aus der Mitte des 20 Jahrhunderts, aber am Ende sieht man den wundervollen Wasserturm, der am Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Anmutung einer mittelalterlichen Burg gestaltet wurde.

Natürlich gibt es auch verlassene Gebäude, die große Renovierung oder Umbau brauchen.

Aber am meisten begegnet man schönen, gut und mit Liebe gepflegten Gebäuden.

Manchmal sieht man beides zusammen.

Der beeindruckendste Platz von Breslau ist selbstverständlich der Große Ring oder rynek auf polnisch. Dieser mittelalterliche Marktplatz im Zentrum der Stadt bietet Stile für jeden Geschmack, vom Rathaus im gotischen Stil bis zu den Gebäuden rund um den Platz im Stil von Renaissance und Barock bis hin zu Jugendstil.

Wenn man sich präziser über die Arten jede Epoche der Geschichte der Stadt informieren möchte, dann kann man ein paar Gebäude des Barock besichtigen, wie die Namen-Jesu-Kirche (Kościół Imienia Jezusa); der gotische Stil ist durch die Elisabethkirche am Großen Ring vertreten. Ein Beispiel des Klassizismus ist die Alte Börse am Salzring (Plac Solny). Was wirklich einzigartig und erwähnenswert in Breslau ist, ist die Jahrhunderthalle (Hala Stulecia), ein Muster der avantgardistischen Kunst.

Breslau ist eine einzigartige Stadt. Bunte, farbenfrohe, aber gleichzeitig manchmal traurige Orte haben mich bis ins Innerste berührt. Das Schicksal der Stadt ist in ihren Bauwerken widergespiegelt und zeigt uns, wie kompliziert ihre Geschichte war. Mit den Fotos kann man versuchen, Breslau zu zeigen, aber um die Seele der Stadt zu spüren, soll man selbst dorthin fahren, was ich nur empfehlen kann.

Quellen:
Kaczmarek, R., Breslau, Parma Press, 2016.
Fotos aus eigenem Archiv: Xenia Ulyakin, 2023.

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