Was als große Enttäuschung begann, entpuppte sich als eine unvergessliche Erfahrung.
Kurz vor unserer Exkursion nach Wrocław schauten wir uns im Seminar einen Ausschnitt aus der Roadtrip-Dokumentation „Polen für Anfänger“ 1 an, in der die Komiker Kurt Krömer und Steffen Möller durch Polen reisen. Für Krömer ist es die erste Reise durch das Nachbarland im Osten, doch zum Glück ist sein Reisegefährte mit dem Land und seinen Gepflogenheiten bereits vertraut und steht ihm in der einen oder anderen befremdlichen Situation bei. So fahren die beiden Touristen unter anderem zu einem Museum in Wrocław, nur um festzustellen, dass der Museumsdirektor nicht zur vereinbarten Zeit vor Ort ist. Die Unsicherheit darüber, wann er erscheinen wird, führt vorerst zu Empörung bei Krömer. Doch Möller ermahnt ihn, er solle nicht so „deutsch denken“. Irgendwann taucht der Direktor dann auch auf und nutzt die Gelegenheit, um den deutschen Gästen eine exklusive Führung durch die Ausstellung zu geben. Dabei enthüllt er ihnen interessante Details über die ausgestellten Exponate, welche teilweise aus seinem eigenen Familienbesitz stammen, die sie sonst nie erfahren hätten. Eine einmalige Erfahrung, mit der wohl keiner der beiden gerechnet hatte.
Ein paar Tage später waren auch wir in Wrocław. Der gesamte Kurs befand sich auf dem Weg zur Galeria Entropia, wo eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst stattfinden sollte. Schon das Auffinden der Galerie gestaltete sich schwieriger als erwartet. Sie befand sich in einem Wohngebäude – womit wir nicht gerechnet hatten – und nur ein kleines, unscheinbares Schild wies darauf hin. Natürlich haben wir es übersehen und sind zunächst an der Galerie vorbeigelaufen, verwirrt auf unsere Handybildschirme starrend. Laut Google Maps sollte sie doch hier sein… „Schaut mal! Ein Schild! Aber das ist doch ein Wohnhaus… sollen wir wirklich klingeln?“ Nicht ganz überzeugt entschlossen wir uns, es trotzdem zu tun, und tatsächlich waren wir am richtigen Ort. Ein Mitarbeiter der Galerie begrüßte uns (wenn auch etwas verwirrt) und teilte uns mit, dass die Ausstellung noch nicht eröffnet, geschweige aufgebaut war.
Unsere Enttäuschung hielt sich in Grenzen, uns war ja klar, dass nicht alles unbedingt nach Plan verlaufen wird. Der Mitarbeiter der Galerie entschuldigte sich mehrmals bei uns, und man merkte, dass es ihm wirklich leidtat. Doch als wir gerade gehen wollten und wortwörtlich schon in der Tür standen, fing der nette ältere Herr etwas verunsichert an, nicht über ein Kunstwerk oder eine Ausstellung, sondern über den kleinen Raum der Galerie selbst zu sprechen. Es stellte sich schnell heraus, dass diese (augenscheinlich) leere Räumlichkeit gefüllt war mit Überresten vergangener Ausstellungen und Zeiten. Eine mit Blumen bemalte Decke, im Originalzustand aus dem 12. Jahrhundert, eine Säule aus dem 14. Jahrhundert und ihre originalgetreue Kopie, 700 Jahre später geschaffen. Zeichnungen und verbogene Drahtkonstruktionen an den Wänden sowie in den PVC-Boden eingekerbte Gestalten. Eine kleine Kammer, die – anders als das in ihr angebrachte Sanitär vermuten ließe – nicht als WC fungiert, sondern eine eigene kleine Galerie in der Galerie selbst ist, gefüllt mit Exponaten, die von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern gestiftet wurden, wie zum Beispiel Kamila Wolszczak, Marcin Harlender, Alicja Jodko oder Bożena Grzyb-Jarodzka.
Ähnlich wie die Stadt Wrocław selbst erinnert die Galeria Entropia an ein Palimpsest, bei dem das Vergangene erst auf den zweiten Blick zum Vorschein kommt, wodurch sie auch ohne eine aktuelle Ausstellung mit Kunst und Geschichte gefüllt ist. Die Atmosphäre, die in diesem Moment in der Galeria Entropia herrschte, lässt sich, wenn auch nur annähernd, mit einzelnen Adjektiven beschreiben: faszinierend, überraschend, berührend, inspirierend und (meiner Meinung nach am zutreffendsten) einzigartig. Und so kam es dazu, dass wir etwas mehr Zeit in der Galerie verbrachten als vorerst angenommen, fasziniert von dem, was wir schlussendlich vorgefunden haben.
Die Moral der Geschichte: Manchmal verläuft nicht alles nach Plan (so auch oder vielleicht vor allem in Polen), aber was man stattdessen erlebt, kann sich als noch besser herausstellen. Mit dieser Einstellung sollten wir die Reise antreten, und es stellte sich heraus, dass wir zurecht vorgewarnt worden waren. Ob es eine amüsante Fügung des Schicksals war oder sorgfältig geplant wurde, kann nur Frau Prof. Dr. Pörzgen beantworten.
- Rothe, Katrin (2010): Polen für Anfänger, Deutschland, 3sat/ RBB[↩]