Es gibt da so ein Osteuropa, aber das ist etwas ganz anderes als Deutschland oder die EU und es ist obendrein noch ziemlich arm dran

„EU exportiert Klimaschäden nach Osteuropa“  Berliner Zeitung (26.01.2023)

„Deutsche Ost-Ignoranz: Warum Deutsche so wenig über Osteuropa wissen“ SPIEGEL (31.12.2022)

„Schuhe für Afrika und Osteuropa: bundesweite Sammelaktion für soziale Zwecke“ Süddeutsche Zeitung (03.01.2023)

Keine dieser Schlagzeilen ist älter als sechs Wochen und man könnte sie wohl so zusammenfassen: Es gibt da so ein Osteuropa, aber das ist etwas ganz anderes als Deutschland oder die EU und es ist obendrein noch ziemlich arm dran.

Kann man so etwas erfinden? Ich sage: Ja! So wie übrigens auch die EU, die deutsche Identität und das Konzept „Afrika“ erfunden sind. Was aber hat es nun mit Osteuropa auf sich? Wie Hans Lemberg ausführt, tauchte der Begriff erstmalig im 19. Jahrhundert auf, als sich die gedankeliche Teilung Europas von Nord-Süd nach Ost-West verschiebt. Lemberg betrachtet dabei vor allem Russland, aber deutlich wird dennoch: Auch Russ*innen haben sich niemals selbst als östlich bezeichnet. Die Begriffsgeschichte beginnt also schon als ideologische Fremdbezeichnung – und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Auch die wissenschaftliche bzw. historische Auseinandersetzung war stets von Interessen geprägt. Dittmar Dahlmann zeigt: „Osteuropäische Geschichte war auch in der Weimarer Zeit ein hochpolitisiertes Fach.“ Wir können Osteuropa ohne politische Färbung weder sagen noch danken. Und hier wird es problematisch.

Solche Schlagzeilen, wie wir oben lesen, homogenisieren eine riesige, vielfältige Region, verstärken Klischees und machen Osteuropa zu etwas Fremdem, Anderem. Dabei müsste Osteuropa leer sein, denn niemand identifiziert sich selbst als Osteuropäer*in. Wie können wir uns also auf Osteuropa beziehen, ohne ein vereinfachtes Weltbild zu stärken?

Ich schlage vor: konkret und themenbezogen! Wenn wir also über gemeinsame geschichtliche Ereignisse reden wollen, wie z.B. Timothy Snyder in seinem Buch Bloodlands oder uns auf sozio-geographische Zonen beziehen, wie Alexander Prusin in Borderlands – dann können wir den Begriff kontextualisiert verwenden. Ein unbestimmter Osteuropa-Begriff ist aber gefährlich, denn dann wissen wir nicht, worüber wir eigentlich reden.

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