Reise nach Peredelkino

In Peredelkino

Im vergangenen Sommer hatte ich die Möglichkeit, das erste Mal Russland mit eigenen Augen zu erkunden. Möglich wurde dies durch die Teilnahme an einem Seminar, das sich dem sagenumwobenen Schriftstellerdorf der UdSSR, Peredelkino, widmete. Und genau dorthin, in diesen kleinen Datschenvorort von Moskau, trotz seiner Nähe zur Hauptstadt malerisch im Grünen gelegen und stark verwoben mit der russischen Kultur, verschlug es auch uns als Seminargruppe. Wir hatten dazu das große Glück, diese Exkursion nicht allein bestreiten zu müssen, denn eine Gruppe Moskauer Studenten von der HSE, der Higher School of Economics, stieß nebst Dozenten zu uns.

Pasternaks Datscha

Perdelkino ist, wie bereits geschrieben ein Datschenvorort von Moskau, der in den 1930er Jahren als Erholungsgebiet für die sowjetische Schriftstellerelite gegründet wurde und als solcher bis zum Zusammenbruch der UdSSR bestand. Dementsprechend finden sich dort die Datschen verschiedenster Schriftsteller, von Boris Pasternak bis Bulat Okudžava, von denen viele heute Museen sind. Daneben finden sich heutzutage auch die neuen Datschen, man möchte fast schon von Villen sprechen, der reichen Moskauer, die vielleicht nicht auf den Spuren der Schriftsteller wandern, aber dort in der Natur ein wenig Erholung suchen wollen. Und wer kann es ihnen verübeln? Wir für unseren Teil hatten das Glück, bereits am ersten Tage eine Führung durch diese Natur und damit einen Einblick in die Reichhaltigkeit derselben zu bekommen, auch wenn ich gestehen muss, dass meine Russischkenntnisse nicht ausreichend waren, um die Ausführungen unseres Naturführers in Gänze zu verstehen. Dafür fanden meine Freunde und ich später bei einer eigenständigen Erkundung der Natur eine Bieberbau samt Bewohnern in einem Teich im Unterholz.

Doch genug der Natur, zurück zum Seminar und den Schriftstellern. Wir wohnten im Dom Tvorčestva Pisatelej in geräumigen und wenn auch etwas heruntergekommenen, so doch auf jeden Fall gemütlichen Zimmern, in denen es sich gut aushalten ließ. Ein großer Teil des Seminars und unsere Verpflegung fanden im Nachbarhaus, das ebenfalls zum Dom gehörte und das nebenbei bemerkt das Schönere Haus war, statt. In gemeinsamer Runde trugen wir uns hier unsere Referate zu den unterschiedlichsten Themen rund um Peredelkino und seine Schriftsteller vor und diskutierten anschließend darüber, wobei es immer auch galt, Sprachliche Barrieren zu überwinden, die sich ob der Diversität unserer Gruppe auftaten. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Natürlich aber waren die Besuche der Museumsdatschen die Höhepunkte der einzelnen Tage. Wir konnten die Datschen von Boris Pasternak, Kornej Čukovskij oder Bulat Okudžava besichtigen und so sehr nahe Eindrücke aus dem Leben und Schaffen der Autoren gewinnen. Wir standen in ihren Arbeitszimmern und machten Rast, wo Čukovskij seine Feste für Kinder veranstaltete und sangen Okudžavas Lieder zur Gitarre in seinem Wohnzimmer. 

Ceretelis Datscha

Den bleibensten Eindruck hinterließ dann aber eine Datscha ganz anderen Typs. Anders, zum einen, weil ihr Besitzer kein Schriftsteller, sondern Künstler war, zum anderen, weil er noch lebt. Die Datscha des Künstlers Zurab Cereteli ist kein wirkliches Wochenendhaus, sondern auch ein Museum. Für jeden frei zugänglich ist dort ein buntes Potpourri seiner Werke, in der überwiegenden Mehrheit Skulpturen, ausgestellt. Wer nur ein Wenig mit seinem Schaffen vertraut ist, der weiß um die Überdimensionalität und Extravaganz, die seine Werke bisweilen besitzen können. Man denke nur an seine Statue Peters des Großen in Moskau. Als Kaleidoskop fanden wir hier viele seiner Skulpturen im Kleinformat scheinbar ohne ersichtliche Ordnung aufgestellt, aus deren Zwischenspiel sich manchmal eine ungewollte oder gewollte Komik ergab, so etwa, wenn der Heilige Georg auf seinem sich aufbäumenden Pferd seine Lanze in einen Miniatur-Putin versenkt.

Dass wir den Künstler, der sich in seinem Datscha-Museum bisweilen die Ehre geben soll, nicht antrafen, war für uns kein Grund für Betrübnis, da wird durch die Bekanntschaft unseres Moskauer Dozenten noch am selben Tag in Ceretelis Museum in Moskau eingeladen waren und dort auch die Gelegenheit eines kurzen Treffens hatten. Dieses fiel dann auch aufgrund des Terminkalenders des Künstlers leider sehr kurz aus. Gerne hätte er sich mehr Zeit für uns genommen. So standen wir dann dichtgedrängt im Vorraum seines Arbeitszimmers, während einige kurz die Gelegenheit bekamen, Fragen zu stellen. Nach dem er jedem von uns die Hand schüttelte, wurde uns noch eine Führung durchs Museum zuteil und wir bekamen einen Imbiss im Museumsrestaurant. Den Rest des schon fortgeschrittenen Tages nutzten wir dann, um auf eigene Faust Moskau zu erkunden.

Cereteli im Gespräch

Natürlich schlossen wir auch Kontakte zu unseren Moskauern. Leider blieb der Kontakt zunächst auf Seminar beschränkt, denn viele blieben nicht wie wir in Peredelkino, sondern pendelten täglich aus Moskau zu uns. Doch an unserem letzten Tag in Russland, den wir ganz für uns zur Verfügung hatten, verabredeten sich die meisten von uns, gemeinsam die alte Tretjakovka zu besichtigen und anschließend noch einmal die Stadt zu erkunden. So wanderten wir erst vorbei an den alten Meistern der russischen Kunst, eine Reise durch die Jahrhunderte, durch all das was wir aus den Vorlesungen erkannten und später durch den Arbat und versteckte Buchhandlungen in Dachgeschossen und endeckten unseren Teil der Stadt und der Kultur. 

Es ist eine Sache, die russische Kultur, so spannend es auch sein mag, aus der Ferne und Gemütlichkeit eines Seminarraums zu studieren, eine ganz andere aber ist es, all das wovon so viel gesprochen wird in echt zu sehen und zu erleben. All die Gemälde in der Tretjakov-Galerie, das geschäftige Moskau, das ruhige Peredelkino mit seinen Schriftstellerdatschen, Die Nähe von Urbanität und Ländlichkeit, all das hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen und ich würde solch eine Reise jederzeit noch einmal unternehmen.

Max Geilert

Max Geilert wurde 1998 in Hannover geboren und studiert seit 2016 Russische Kultur und seit 2018 Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Dort arbeitet er als studentische Hilfskraft des Lotman-Instituts. Nebenbei war er bis 2020 auch im Fachschaftsrat der Slavistik/Russische Kultur aktiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert